Sediqa Mushtaq – Geschäftsfrau
Übersetzung von Dominique Renault, Themenkoordinationsgruppe Menschenrechtsverletzungen an Frauen
Sediqa Mushtaq ist eine erfolgreiche Geschäftsfrau und die Leiterin eines Gesundheitsinstituts. Nach der Machtübernahme der Taliban waren sie und andere Geschäftsfrauen zunächst gezwungen, zu Hause zu bleiben, und es bleibt unklar, wie sich die neuen Taliban-Vorschriften auf Frauen im Privatsektor auswirken werden. Einschränkungen der Bewegungsfreiheit und die allgemeine Einstellung, dass Frauen sich nur um häusliche Angelegenheiten kümmern sollten, bedeuten, dass Frauen in der Geschäftswelt auf absehbare Zeit mit großen Hindernissen rechnen müssen.
Seit 2014 bin ich Direktorin des Farabi Health Institute und seit 2021 leite ich meinen eigenen Kindergarten. Außerdem bin ich Vorstandsmitglied der Frauenhandelskammer. Ich war an politischen Aktivitäten beteiligt und bin Vorstandsmitglied des Netzwerks für politische Beteiligung von Frauen. Neben diesen Aktivitäten hatte ich gerade mein Postgraduiertenstudium begonnen, als die Taliban die Macht übernahmen.
Ich war die meiste Zeit meines Lebens eine aktive Frau; meine Tage waren mit Programmen und Arbeit ausgefüllt. Dann wurde ich plötzlich zu jemandem, der nichts hat, und ich sitze den ganzen Tag zu Hause, ohne etwas zu tun zu haben.
Im Jahr 2021 wurde ich vom Handelsministerium als eine der 10 erfolgreichsten Geschäftsfrauen in Afghanistan ausgezeichnet. Zusammen mit neun anderen Frauen erhielt ich die Auszeichnung als “Geschäftsfrau des Jahres”. Während ich mein eigenes Unternehmen führte, habe ich auch gebloggt. Eine der größten Errungenschaften meines Lebens ist, dass ich mit meinem Gesundheitsinstitut Hunderte von Gesundheitsfachkräften, zumeist Frauen, ausgebildet und Stipendien an Frauen und Mädchen vergeben habe.
Von 2001 bis 2021 genoss ich gleiche Rechte beim Zugang zu Bildung, Beschäftigung und politischer Teilhabe. Meine Familie unterstützte mich und meine Arbeit; sie halfen mir, alle Herausforderungen zu meistern, vor allem die männlichen Mitglieder meiner Familie.
Auch vor der Machtübernahme der Taliban gab es Herausforderungen und es war nicht einfach. Aber dann habe ich versucht, jede Herausforderung in eine Chance für mich und andere Frauen zu verwandeln. Es gab Männer, die keine Frauen in Entscheidungspositionen haben wollten, und Frauen waren verschiedenen Formen von Diskriminierung und Belästigung ausgesetzt. Als ich meine Arbeit im Gesundheitsinstitut aufnahm, wollte einer meiner männlichen Kollegen nicht mit mir arbeiten und verweigerte meine Anweisungen. Selbst wenn es um den Kauf oder die Vermietung von Immobilien ging, wollten einige Leute keinen Vertrag mit einer Frau abschließen. Trotz all dieser Herausforderungen arbeitete ich und leitete das gesamte Institut und niemand konnte mir rechtlich das Recht absprechen, dies zu tun. Ich war sehr stolz darauf, eines der größten privaten Gesundheitsinstitute des Landes leiten zu können und anderen Frauen und Mädchen den Zugang zu höherer Bildung zu ermöglichen. Die Situation war damals nicht angenehm, aber es gibt einen gewaltigen Unterschied zu heute. Die Mentalität der Diskriminierung war bei einigen Männern in der Gesellschaft vorhanden, aber jetzt sind solche Verhaltensweisen legal und Teil der offiziellen Politik der Taliban.
Seit der Rückkehr der Taliban habe ich alles verloren. Ich kann nicht mehr zur Arbeit gehen. Als ich hörte, dass die Taliban in Kabul einmarschiert waren, fühlte ich mich, als würde ich fallen und in Stücke zerbrechen. Ich fiel von einem hellen Ort in die Dunkelheit, wo kein Licht mehr zu sehen war.
Unser Institut war mehrere Wochen lang geschlossen, bevor die Taliban uns erlaubten, unter neuen Einschränkungen zu arbeiten. Trotz der Einschränkungen ging ich in mein Büro und begann mit meiner Arbeit. Es ist schmerzlich zu sehen, dass von 1400 Studenten nur 300 zur Arbeit kommen können. Viele von ihnen können aufgrund finanzieller Probleme, der Unterbrechung der Bankdienste und der Tatsache, dass die Familien kein Gehalt haben, um die Ausbildung ihrer Kinder zu finanzieren, nicht kommen. Ich habe mich sehr bemüht, mein Institut trotz des Drucks, der auf uns allen lastet, nicht zu schließen. Die Miete, die Gehälter, die anderen Ausgaben – all das belastet mich und das Institut sehr. Ich musste meinen Kindergarten schließen, weil die Frauen jetzt zu Hause sind und nicht mehr zur Arbeit gehen dürfen. Jetzt sitzen sie nur noch zu Hause und kümmern sich um ihre Kinder. Das waren die schmerzhaftesten Momente in meinem Leben.
Die systematische Diskriminierung, die die Taliban anwenden, kommt geschlechtsspezifischer Gewalt gleich. Sie haben Dozentinnen daran gehindert, an den Universitäten zu unterrichten; sie dürfen nirgendwo im staatlichen oder privaten Sektor arbeiten. Sie führen Kleidervorschriften ein und schränken die Bewegungsfreiheit von Frauen und Mädchen ein. Sie zwingen Familien, ihre Töchter mit Mitgliedern der Taliban zu verheiraten. Ich kenne Familien, die ihre Töchter mit ihren eigenen Verwandten verheiraten, weil sie befürchten, dass die Taliban sie sonst verheiraten würden.
Die internationale Gemeinschaft muss Druck auf die Taliban ausüben, damit sie Frauen die Möglichkeit geben, zu arbeiten. Sie dürfen nicht die Hälfte der Bevölkerung lähmen, indem sie ihnen Beschränkungen auferlegen. Jegliche Hilfe für Afghanistan muss an die Bedingung geknüpft werden, dass Frauen in staatlichen und nichtstaatlichen Bereichen voll mitarbeiten.
Quelle:
AI-Bericht „They are the revolution. Afghan women fighting for their future under rule of the taliban (ASA 11/4968/2021 vom 25.11.2021)
Informationen:
www.amnesty.org
www.amnesty.de
www.amnesty-frauen.de
Kontakt:
Themenkoordinationsgruppe Menschenrechtsverletzungen an Frauen, info@amnesty-frauen.de
Länderkoordinationsgruppe Afghanistan, info@amnesty-afghanistan.de