Nagena Azimi – Künstlerin
Übersetzung von Dominique Renault, Themenkoordinationsgruppe Menschenrechtsverletzungen an Frauen
Nagena Azimi ist eine Straßenkünstlerin, die mit ihren Kunstwerken die Öffentlichkeit auf eine Vielzahl von Themen aufmerksam macht. Seit ihrer Rückkehr an die Macht haben die Taliban viele Straßenkunstwerke in Kabul übermalt, die sie als unislamisch betrachten. Während ihrer ersten Regierungszeit verboten die Taliban Bilder mit menschlicher Gestalt, weil sie als Götzendienst angesehen wurden.
Ich bin Mitglied der Artlords Group, einer Basisbewegung von Künstlern und Freiwilligen, die durch den Wunsch motiviert sind, den Weg für einen sozialen Wandel und eine Verhaltensänderung zu ebnen, indem sie die sanfte Macht von Kunst und Kultur als unaufdringlichen Ansatz nutzen. Ich beschäftigte mich mit Straßenkunst wie Malerei, Graffiti und Wandmalerei, um das öffentliche Bewusstsein zu schärfen. Ein Teil meiner Malerei konzentrierte sich auf die Sensibilisierung für Themen wie Gesundheit (Polio-Impfung), Frieden, Gewalt gegen Frauen, Gleichstellung der Geschlechter und die Unterstützung der ehemaligen afghanischen Sicherheitskräfte. Diese Aktivitäten führte ich in Kabul und in den übrigen Provinzen durch.
Ich habe in meinem Beruf viel erreicht, u. a. habe ich mehrere Fotoausstellungen veranstaltet und erhielt Anerkennungsschreiben von verschiedenen Organisationen. Außerdem erhielt ich eine Auszeichnung (She Builds Peace) vom Afghan Women Skill Development Centre (AWSDC). Ich denke, mein größter Erfolg ist es, junge Mädchen zu ermutigen und zu motivieren, eine positive Rolle in der Gesellschaft zu spielen und sich künstlerisch zu betätigen.
In diesen Jahren genoss ich alle meine Grundrechte, die Wahlfreiheit, Bildung und soziale Aktivitäten, und ich konnte meinen Abschluss in Kunst und Politikwissenschaft machen. Zwischen 2001 und 2021 hatte ich das Recht, zu arbeiten, eine Ausbildung zu machen und für die Gleichstellung der Geschlechter zu kämpfen.
Es liegt auf der Hand, dass die Errungenschaften in einem traditionellen und männerdominierten Land wie Afghanistan ihre eigenen Herausforderungen mit sich bringen. Wir hatten es mit einem Land zu tun, in dem jahrzehntelang Krieg herrschte und das von Unwissenheit und Bildungsmangel geprägt war. Als junges Mädchen und Straßenkünstlerin hatte ich mit vielen Schwierigkeiten und Diskriminierung zu kämpfen. Aber unser Hauptziel war es, die Kunst der Malerei zu verbreiten und gegen die negative Einstellung gegenüber Frauen in unserer Gesellschaft zu kämpfen. Aber jetzt sind die Herausforderungen, die wir nach der Machtübernahme der Taliban erleben, noch gravierender. Jetzt werden Frauen in ihren Häusern eingesperrt und gefangen gehalten. Keine Frau wagt es, nach draußen zu gehen oder irgendetwas in der Gesellschaft zu unternehmen.
Leider ist das Arbeitsumfeld für Frauen nach der Machtübernahme der Taliban sehr schwierig geworden, insbesondere im Kunstsektor. Die Taliban akzeptieren keine künstlerischen Arbeiten, vor allem nicht von Frauen. Sie zerstörten alle Graffiti und Gemälde, die wir zuvor an die Wände der Stadt Kabul gemalt hatten. Sie schrieben ‘Herzlichen Glückwunsch zu eurer Unabhängigkeit’ über unsere Graffiti. Ich weiß allerdings nicht, welche Unabhängigkeit sie damit meinen.
Die Mentalität der Taliban ist gegen die Rechte der Frauen und die Bürgerrechte. Die Taliban haben nicht nur die Aktivitäten der Frauen eingeschränkt, sondern auch das Recht auf Bildung und Arbeit. Nach der Machtübernahme durch die Taliban konnte ich meinen Tätigkeiten nicht mehr nachgehen und keine Rolle in der Gesellschaft spielen. Die Taliban haben alle Schulen und Universitäten für Mädchen geschlossen und den Unterricht für Mädchen ab der sechsten Klasse verboten, was die größte Verletzung der Menschenrechte und Diskriminierung von Frauen darstellt.
Die Mentalität der Taliban ist auf Krieg, Töten und Gewalt ausgerichtet. Sie werden ihre Ansichten über Frauen nicht ändern. Ich glaube, dass es keine positiven Veränderungen in Bezug auf die Arbeit oder Bildung von Frauen geben wird, und ich bin sicher, dass ich unter der Herrschaft der Taliban nichts erreichen kann.
Seit der Machtübernahme der Taliban habe ich geschlechtsspezifische Gewalt und andere Menschenrechtsverletzungen gegen meine Familie und meine Freunde durch die Taliban erlebt. Zu diesen Verstößen gehört das Arbeitsverbot für meine Mutter – als ob Frauen nicht das Recht hätten, zu arbeiten und ihre Familie zu ernähren. Ich wurde auch Zeuge von Gewalt gegen meine Freundin, weil sie keine “angemessene” Kleidung trug.
Die internationale Gemeinschaft muss wissen, dass sich die Taliban nicht geändert haben und heute noch dieselben Denkweisen und Ansichten vertreten wie vor 20 Jahren. Damals haben sie den Mädchen den Zugang zu Bildung verwehrt und heute tun sie dasselbe. Wenn die internationale Gemeinschaft das Taliban-Regime anerkennen würde, wäre das nach 20 Jahren unseres Kampfes und unserer Erfolge ein schwerer Schlag. Dies würde die Träume von Millionen afghanischer Mädchen zerstören. Die internationale Gemeinschaft sollte die Taliban nicht als legitime Regierung anerkennen.
Quelle:
AI-Bericht „They are the revolution. Afghan women fighting for their future under rule of the taliban (ASA 11/4968/2021 vom 25.11.2021)
Informationen:
www.amnesty.org
www.amnesty.de
www.amnesty-frauen.de
Kontakt:
Themenkoordinationsgruppe Menschenrechtsverletzungen an Frauen, info@amnesty-frauen.de
Länderkoordinationsgruppe Afghanistan, info@amnesty-afghanistan.de