16 DAYS OF ACTIVISM: ROSHAN SIRRAN

Roshan Sirran – Frauenrechtsaktivistin
Übersetzung von Dominique Renault, Themenkoordinationsgruppe Menschenrechtsverletzungen an Frauen

 

Roshan Sirran ist eine langjährige Frauenrechtsaktivistin und Geschäftsführerin der Training Human Rights Association for Afghan Women (THRA). Sie hat sich unter anderem intensiv mit der Wahlrechtsreform befasst und sich für den Schutz der Frauenrechte im Friedensprozess eingesetzt. Sie war Mitglied des afghanischen Parlaments und gehörte in den 1980er Jahren der afghanischen Friedensdelegation an. Seit der zweiten Machtergreifung der Taliban sehen sich Rechtsaktivisten – insbesondere diejenigen, die sich für die Rechte der Frauen einsetzen – mit einem äußerst feindseligen Umfeld konfrontiert.

In meiner Organisation THRA arbeiteten wir an wahlbezogenen Themen wie Wahlreformen, staatsbürgerliche Bildung und politische Beteiligung. Ich hatte ein Informationspaket zu Wahlreformen, Wahlrechtsreformen und den daraus gezogenen Lehren sowie zur Gewährleistung freier und fairer Wahlen entwickelt. Darüber hinaus betonte das Paket auch die Rolle der Frauen und ihre Beteiligung als Wählerinnen und Kandidatinnen sowie die Frage, wie die Beteiligung von Frauen an diesen Prozessen sichergestellt werden kann. Wir hatten spezifische Empfehlungen an die Regierung und andere am Wahlprozess beteiligte Organisationen.

Mein größter Erfolg ist die afghanische Verfassung. Ich bin sehr stolz darauf, Teil dieses Prozesses gewesen zu sein, der die Grundrechte und die Freiheit aller afghanischen Bürger sichergestellt hat. Wir haben die Gleichstellung von Männern und Frauen, den Zugang zu Gesundheit, Bildung, politischer Teilhabe, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit sichergestellt. Es ist uns auch gelungen, all diese Rechte in unserem täglichen Leben zu genießen. Es war nicht perfekt, aber wir haben das Beste getan, was wir konnten. Unter der neuen Verfassung haben die Frauen in verschiedenen Bereichen große Fortschritte gemacht; sie wurden zu einem wichtigen Teil der Regierung und des privaten Sektors. Dann begann die Beteiligung der Frauen in allen Bereichen des Lebens, einschließlich der Sicherheit, der Justiz und der Medien, ganz natürlich zu werden.

Eine der größten Herausforderungen, mit denen wir konfrontiert waren, war die Unsicherheit, die unsere Arbeit weiterhin beeinträchtigte und unsere Fortschritte verlangsamte, insbesondere in den ländlichen Gebieten. Aufgrund der anhaltenden Unruhen und der Unsicherheit mussten wir unsere Einsatzgebiete einschränken. Eine weitere Herausforderung war die Rechtsstaatlichkeit. Von der mangelnden Umsetzung der Gesetze waren vor allem Frauen betroffen. Auch auf Regierungsebene war es recht schwierig, da die meisten Ernennungen von Frauen auf höheren Ebenen nicht auf der Grundlage ihrer Verdienste erfolgten. Dies schuf eine Situation des Misstrauens und der Distanz zwischen berufstätigen Frauen und der Regierung.

Seit der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 hat sich die Situation der Frauen deutlich verschlechtert und ist mit der früheren Regierung nicht mehr vergleichbar. Die Taliban haben Frauen die Arbeit verboten, egal ob sie Lehrerinnen, Ärztinnen, Richterinnen oder Polizistinnen sind. Dies wird langfristige Auswirkungen auf unsere Gesellschaft haben.

Meine eigene Organisation war nicht in der Lage, eine Genehmigung für die Arbeit unter den Taliban zu erhalten, da die meisten unserer Mitarbeiter Frauen sind. Das hat unsere gesamte Arbeit verlangsamt, mit der wir die Menschen auf verschiedenen Ebenen erreichen wollten. All diese Einschränkungen werden uns auferlegt, nur weil wir Frauen sind, und nichts anderes.

 

Wäre ich unter den Taliban jung gewesen, hätte ich nicht einmal einen Bruchteil dessen erreichen können, was ich bisher erreicht habe. Es gibt einen gewaltigen Unterschied zwischen der Zeit, in der wir gearbeitet haben, und der jetzigen Zeit unter den Taliban. Die Taliban stellen das Konzept der sozialen Gerechtigkeit in Frage und es gibt überhaupt keine soziale Gerechtigkeit, keine ethnische Gerechtigkeit.

Die internationale Hilfe muss davon abhängig gemacht werden, dass die Rechte der Frauen und der Schutz der gesamten afghanischen Bevölkerung gewährleistet sind und die diskriminierenden Praktiken gegen ethnische Minderheiten beseitigt werden. Die internationale Gemeinschaft muss auch die aktuelle Situation überwachen und sicherstellen, dass die afghanischen Frauen nicht aus den Augen verloren werden. Die internationale Gemeinschaft muss sicherstellen, dass alle Bürger gleich und mit Würde behandelt werden.

Quelle:
AI-Bericht „They are the revolution. Afghan women fighting for their future under rule of the taliban (ASA 11/4968/2021 vom 25.11.2021)

Informationen:
www.amnesty.org
www.amnesty.de
www.amnesty-frauen.de

Kontakt:
Themenkoordinationsgruppe Menschenrechtsverletzungen an Frauen, info@amnesty-frauen.de
Länderkoordinationsgruppe Afghanistan, info@amnesty-afghanistan.de

28. November 2021